71° 10’ 21″ nördliche Breite

71° 10’ 21″ nördliche Breite

20. Juni 2022 4 Von Silvernomads

Tag eins: Ankunft mit Röbeli um 09.00 Uhr in der Früh auf dem grossen Parkplatz. Die einen kommen, die anderen gehen. So fahren wir direkt in die erste Reihe. Die kommt so quasi einer Pool-Position gleich, freier Blick auf das Meer und auf die karge Landschaft. Die aufmerksame Leserschaft stellt fest: «Erste Reihe» tönt ganz danach, dass es noch andere Reihen gibt: Zweite Reihe, dritte Reihe, vierte Reihe…Bingo. Rimini reloaded.

Aussentemperatur gemäss der anscheinend zuverlässigsten App Norwegens: 5 Grad, gefühlt 2 Grad, ein bisschen bedeckt, kein Wind. Zumindest letzteres trifft zu. Das «bisschen bedeckt» und die gefühlten zwei Grad hingegen kommen mir reichlich untertrieben vor. Es ist ganz einfach nur sehr kalt und wer jetzt denkt, es könne nicht schlimmer kommen, der sieht sich getäuscht. Es kam schlimmer. Und alles wirkte ein bisschen surreal: Tag und Nacht ohne Uhr voneinander zu unterscheiden, ist nicht mehr möglich. Es ist hell. Immer.

Beim Apéro die Erkenntnis, dass die anscheinend zuverlässigste App auch nicht alles im Griff hat: Die Wolken lösen sich nicht auf sondern werden nur noch dichter. Wir halten Rat: Hier bleiben oder nach Hammerfest fahren? Dort herrsche «grand beau» (sagen zwei andere Apps). In vier Stunden wären wir dort.

Wir bleiben hier und unternehmen bei Tageslicht einen Mitternachts-Spaziergang an der Küste entlang.

Tag zwei, morgens um 04.00 Uhr: Röbeli hält sich tapfer. Der Wind rüttelt und schüttelt erbarmungslos an ihm herum und die Plache, mit welcher unsere immer noch ungenutzten Velos zugedeckt sind, gibt unangenehme Geräusche von sich. So im Sinne von: Wie lange dauert es noch bis sie zerreisst? Fredi will dem ein Ende setzen, ist aber rasch wieder drinnen in der guten Stube und lässt sein Vorhaben fallen: Denn die Camperpiloten in den Reihen zwei und teilweise drei sitzen allesamt in ihren Cockpits und gucken nach draussen, gespannt darauf, ob und wann die Sonne sich zeigen wird. Da wäre dieser Schweizer und seine Plache doch eine willkommene Abwechslung gewesen.

Vier Stunden später vermeldet die App: 3 Grad, gefühlt minus 4 Grad, stark bewölkt und ebensolche Windböen. So soll es den ganzen Tag bleiben. Die Motivation, das warme Bett zu verlassen, sinkt auf unter null. Nachmittags nehmen die Windböen an Stärke zu und als Belohnung für unser engagiertes Ausharren reservieren wir für den Abend einen Tisch im Restaurant. Das Essen schmeckte ausgezeichnet, aber so wenig Nahrung für so viel Geld haben wir schon lange nicht mehr bekommen. Jedenfalls hat der Waffelproduzent nebenan an diesem Abend mit uns noch ein gutes Geschäft gemacht.

Und so wurde es Mitternacht. Trotz eisiger Kälte und stürmischem Wind: Die Mitternachtssonne zu sehen, ist ganz einfach fantastisch. Und während man denkt, sie sollte jetzt dann etwa untergehen, geht sie schon wieder auf, ohne auch nur ansatzweise den Horizont berührt zu haben. Gewusst, dass sie von Norden Richtung Süden scheint? Oder dass es am Nordpol nur einen Sonnenauf- und einen Sonnenuntergang pro Jahr gibt?

Mit all diesen Eindrücken im Kopf wird es Zeit, weiter zu ziehen. Es hat uns gerade zu viele Menschen, zu viele Camper, zu viele Touristenbusse. Um 01.00 Uhr morgens brechen wir auf, mit einem kurzen Besuch in Skärsväg, dem nördlichsten Fischerdorf der Welt. Hier gab’s keinen Touristenrummel. Kein Wunder, wer bummelt denn schon morgens um halb zwei Uhr durch die leeren Gassen.

Mit der Sonne im Rücken die alles in ein warmes Licht taucht, vor uns Rentiere, die gemächlich die Strasse überqueren – so verlassen wir das Nordkap und fahren Richtung Hammerfest.

Den Polarkreis haben wir übrigens im finnischen Rovaniemi im Santa Clause Village mit viel Brimborium überschritten 😊