In Vino Veritas
Es liegt eine gewisse Leichtigkeit in der Luft. Ob es daran liegt, dass wir uns im Staate Kalifornien befinden? Wo das Leben uns noch eine Runde teurer vorkommt als sonst schon in den USA? Wo die Küstenstrasse im Norden aus sicherheitstechnischer Perspektive schlicht als grobfahrlässig bezeichnet werden muss, uns jedoch atemberaubende Ausblicke beschert? Jedenfalls sind wir gerade so richtig im Flow: Bei drei Weingütern reservieren wir uns einen Parkplatz für die Übernachtung, buchen für ein paar Tage einen Campingplatz in San Francisco, organisieren Los Angeles mit zwei Campingplätzen an verschiedenen Orten und sichern uns Plätze für die Besichtigung von Alcatraz. Bemerkung am Rande: Von der soeben angetönten Leichtigkeit war auf Alcatraz dann aber nichts zu spüren – kein Wunder bei dieser Vergangenheit.
Das erste Weingut erreichen wir deutlich später als vorgesehen. Dies wiederum motiviert den Besitzer dazu, seine üblichen Öffnungszeiten über den Haufen zu werfen, um uns die Möglichkeit zu geben, seine Weine zu kosten. Wir sind definitiv die letzten Gäste für heute und er zeigt sich uns gegenüber in mehrfacher Hinsicht grosszügig: Anstelle der üblichen sechs Weinsorten degustieren wir deren neun, wobei das Wort „degustieren“ eigentlich eine masslose Untertreibung ist. Der Winzer „degustiert“ fröhlich mit. Seine Weine schmecken uns zwar nicht alle gleichermassen gut, spannend sind vielmehr die Gespräche, in welche er uns und wir ihn verwickeln. Je später der Abend, desto pointierter und aussagekräftiger werden seine Meinungsäusserungen, insbesondere auch in Bezug auf die politische Situation in den USA. Er beneidet uns lebhaft um unser Schweizer Politsystem und wir ihn nicht um jenes in den Staaten, was er mit verständnisvollem Augenrollen quittiert (welches Fredi’s geübtem Rollen durchaus Konkurrenz machte). Wir wissen es sehr zu schätzen, endlich mal wieder einen US-amerikanischen Gesprächspartner mit gesundem Menschenverstand vor uns zu haben. Gut gelaunt und weinselig, mit ein paar guten Flaschen unter dem Arm verabschieden wir uns sehr viel später voneinander, dankbar, dass es zu Columbus nicht mehr weit ist. Die beiden anderen Besuche auf den Weingütern verlaufen übrigens ganz ähnlich. In Vino Veritas eben.
San Francisco empfängt uns freundlich und ausserordentlich gnädig mit angenehmen Temperaturen, klarer Sicht, Walen und Delphinen, die wir vom Campingplatz aus im Meer beobachten dürfen, bereits erwähntem Alcatraz, unterhaltsamen Uber-Fahrten, Trämlifahren ohne Ende und vor allem: Dem Besuch des Haight- Ashbury-Viertels, wo es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben. Das ehemalige Mekka der Flower-Power-Bewegung übt zweifelsohne einen ganz besonderen Reiz auf uns aus: Wir spazieren am Wohnhaus von Jimi Hendrix und jenem von Janis Joplin vorbei und gewöhnen uns rasch an den omnipräsenten Hasch-Geruch, der in der Luft liegt. Wir schmöckern in Läden, die ausschliesslich LP’s und Singles verkaufen, und überlegen uns den Kauf von ein paar Räucherstäbchen weil ein Laden ein unendlich langes Gestell gefüllt von oben bis unten mit ganz unterschiedlichen Exemplaren feilbietet. Und wir schmunzeln bei so vielen Schaufenstern über das schier unendliche Angebot an Vintage-Artikeln und deren unorthodoxen Präsentationen. Eine andere Welt. Touristen hat es hier sehr wenige – uns inbegriffen.
Und dann kam die Hitzewelle: Hitzewelle und Städtebesuch sind gelinde gesagt eine sub-optimale Kombination. So geschehen in Los Angeles. Bei Temperaturen um die 40 Grad wird’s ein bisschen grenzwertig. Trotzdem machen wir uns artig auf zu bestaunen, was es zu bestaunen gibt: Disneyland (wo noch immer ungeachtet aller Kritik mindestens zweimal die Woche abends ein Feuerwerk gezündet wird), die Universal-Studios, den Walk of Fame, und so quasi in letzter Minute auch noch die Warner Brothers Filmstudios. Letztere stellten sich im Nachhinein als sehr gute Ergänzung zu den doch eher oberflächlichen und auf Show fokussierten Universal-Studios heraus. Schade bloss, dass der Parkplatz von Tom Cruise und jener von George Clooney leer war…..sie seien immer mal wieder hier anzutreffen, aber offensichtlich heute gerade nicht. Ihre Abwesenheit sei ihnen bei dieser Hitze verziehen.
Und last but not least die sechsspurigen und praktisch zu jeder Tageszeit verstopften Autostrassen sowie die Tatsache, dass uns in Los Angeles der Wechsel von einem Campingplatz zum nächsten eine fast zweistündige stop and go Fahrt mit Columbus bescherte. In dieser Zeit fahren wir locker von Biel nach Stechelberg 😊
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Titelbild: No comment
Unsere Route:
Lieber Jürg
Herzlichen Dank für Deinen Kommentar! Wir haben uns sehr darüber gefreut – insbesondere die Tatsache, dass wir in enger Konkurrenz zum BT stehen, lässt uns jubilieren 😉
Was für einen Start in den neuen Tag! Anstelle des Bieler Tagblattes lese ich viel lieber euren spannenden, humorvollen, pointierten Blog eurer Reise. Im BT steht nämlich nichts vom „Gekrönten“ und von EVA mit ihrem Stern auf dem Walk of Fame.
Ich hoffe ich muss nicht allzu lange auf den nächsten Reisebericht warten und mich mit dem BT abfinden.
Viele Grüsse und weiterhin gute Reise.
Jürg